Alle Stellen und Schichten qualifiziert besetzt, ein gutes Klima, zufriedene PatientInnen, Mitarbeitende, die gern zur Arbeit kommen, Freiraum zum Gestalten: Wie selten malen wir uns aus, wo wir wirklich hinwollen? Und wie oft sind wir einfach nur damit beschäftigt, Lücken zu stopfen und das Schlimmste zu verhindern?
Im Interview mit Julia von Grundherr erfahren Sie, wie Sie die New Work Prinzipien in Ihrer Klinik nutzten können, um diesen Ziele ein Stück näher zu kommen.
Was ist New Work und welche New Work Prinzipien gibt es?
Diese New Work Bewegung ist gar nicht so neu. Fritjof Bergmann hat 1930 diese Bewegung gestartet und sich gefragt, was es eigentlich braucht um zufrieden arbeiten zu können. Diese Essenz der New Work Philosophie kann man in einem Zitat von Fritjof Bergmann ganz gut erkennen: „Freiheit wird dem Menschen erst möglich, wenn er erkennt, was er in und mit seinem Leben wirklich tun möchte, und wenn ihm die Umsetzung seiner Erkenntnis ermöglicht wird.“ Das geht sehr tief und ist auch ein Stück weit eine soziale Utopie – eigentlich geht es hier ja um ein Anti-Lohn-Arbeitskonzept. Aber der Fokus dieser Bewegung wird klar gezeigt. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie man diesen Begriff New Work in der heutigen Zeit definiert und auf die Komplexität unserer Organisationen ummünzen kann.
Heute umfasst New Work eher alternative Arbeitsmodelle und Formen, die dabei helfen sollen, in dieser Komplexität zu bestehen. Dafür hat Markus Väth 5 Prinzipien herausgearbeitet, die den Organisationen dabei helfen soll, rascher, flexibler, aber vor allem Menschen zentrierter auf Veränderungen reagieren zu können: Freiheit, Sinn, Selbstverantwortung, Entwicklung und soziale Verantwortung.
Wie stehen diese New Work Prinzipien im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen?
Das Prinzip Freiheit könnte jetzt für eine Organisation bedeuten, dass es Raum gibt für Experimente gibt – also die Möglichkeit, mal um die Ecke zu denken, vielleicht neue Netzwerke zu knüpfen und Sachen auszuprobieren.
Beim zweiten Prinzip Sinn, geht es um die Identifikation mit dem Zweck der Organisation. Wir sollten also wissen, warum wir jeden Tag aufstehen und dahin gehen und tun, was wir tun. Das wäre im Gesundheitswesen wahrscheinlich so etwas wie Patientenzentrierung – also einen Motivator, Menschen gesund zu halten und wirklich gesünder zu machen.
Das dritte Prinzip, die Selbstverantwortung, beschreibt so etwas wie die eigene Wirksamkeit erleben, also einen Unterschied zu machen und mitzugestalten. Das führt dann auch zu entlastenden Momenten, gerade für Führungskräfte. Man sollte dazu zu ermutigen, mehr abzugeben, mehr in die Selbstorganisation und in die Selbstverantwortung der Teammitglieder zu gehen und loszulassen.
Die Entwicklung ist das vierte Prinzip – da geht es um gemeinsames Lernen, gemeinsames Weiterentwickeln und damit auch die Möglichkeit, besser entscheiden zu können und bessere Entscheidungen zu treffen.
Und das fünfte und letzte Prinzip ist die soziale Verantwortung. Da geht es um Nachhaltigkeit, um Chancengerechtigkeit, Diversity und solche Themen. Wenn man sich diese Prinzipien so anschaut, denken sich sicher viele „Das klingt ja alles sehr schön, aber wie soll ich denn bitteschön in meinem Alltagswahnsinn hier Freiräume finden, um irgendetwas davon ernsthaft umzusetzen?“. Es gibt in der New Work Bewegung ja durchaus Hindernisse.

Welche Hindernisse gibt es denn bei der Umsetzung von New Work Prinzipien in Krankenhäusern?
An erster Stelle steht da, glaube ich, die hohe Arbeitsverdichtung. Wir haben im Moment einfach wenig Spielraum, weil wir hauptsächlich damit beschäftigt sind, Löcher zu stopfen und gar nicht so richtig hinterher kommen.
Die Profitorientierung im Gesundheitswesen ist auch ein Hindernis, weil wir uns nicht mehr auf die Ergebnisse von Behandlungen fokussieren sondern auf die Abrechnung. Es scheint, als ob wir da falsche Anreize setzen, dass dann mit dem Prinzip ‚Sinn‘ kollidiert.
Wir sehen auch häufig eine direktive Führungshaltung – das Führungsverständnis und das Führungsverhalten im Krankenhaus hat oft noch eine Vorgesetzten-Untergebenen-Struktur. Oft hört man auch „Ja, da mussten wir alle mal durch.“ oder „Das ist eben so – man muss leiden, um irgendwo hinzukommen.“. Mit dieser Haltung, wird es natürlich schwierig, Selbstverantwortung in unser System zu integrieren. Die Hierarchie zwischen den Pflegeberufen und der Ärzteschaft, die in vielen Bereichen noch immer besteht, macht es auch nicht leichter, zu einer wirklich erfolgreichen Kooperation und auf die „berühmte“ Augenhöhe zu kommen.
Zusätzlich ist es leider oft so, dass Prozesse zu starr sind, nicht hinterfragt werden oder nicht regelmäßig hinterfragt werden. Und das macht es dann schwer, gemeinsames Lernen und gemeinsame Entwicklungsprozesse zu gestalten.
Oft weiß man auch einfach nicht, wie das Ganze umgesetzt werden kann oder wo man die Sachen anpacken soll. Es fehlt an positiven Zielbildern, die dann dabei helfen würden, den Fokus zu verändern und zu zeigen, „wo möchte ich eigentlich hin?“.
Gibt es Beispiele von Krankenhäusern oder Organisationen aus dem Gesundheitswesen die diese Prinzipien bereits angewendet haben und als positive Zielbilder dienen können?
Ein Beispiel das mich sehr fasziniert, ist ein Projekt im Klinikum Aschaffenburg. Hubertus Schmitz-Winnenthal, der Chefarzt des Klinikums, dachte sich „So kann es nicht weitergehen mit dem Personalmangel, wir müssen das komplett ändern.“ Und hat es dann geschafft, mit seiner Geschäftsführung ein Modell-Projekt für eine selbstorganisierte Station auf die Beine zu stellen – also eine Station, die auf die Bedürfnisse der Belegschaft ausgelegt ist. Das Ganze wurde nach fachlicher Kompetenz, nach Stärken und interdisziplinär nach Rollen aufgeteilt. Dabei wurde auch mehr Verantwortung ins Team gegeben. Zum Beispiel muss es nicht automatisch heißen, dass der Arzt die Führungsverantwortung trägt, sondern dass das auch jemand anderes übernehmen kann der Führungsfähigkeiten besitzt. Natürlich ist der Arzt immer noch medizinisch gesehen für die Behandlung verantwortlich, aber für diese generelle Führungsaufgabe kann es andere Verantwortliche geben.
Ja, und für eben dieses Projekt haben sich 25 Personen gefunden, die sich jetzt gemeinsam in einem moderierten Prozess als Team finden werden. Das Ganze findet mit externer Begleitung statt, wo die Mitarbeitenden auch verschiedene Methoden und relevanten Fähigkeiten wie zum Beispiel Entscheidungsmethoden, Kommunikation oder Konfliktlösung lernen.
Bis jetzt gab es einen ersten Workshop, wo dieses Team gemeinsam gekuckt hat, welche Unterschiede im Vergleich zur jetzigen Situation eigentlich erreicht werden sollen. Also das man zum Beispiel mehr Zeit für die Patienten haben möchte, oder einen besser geregelten Ablauf und besser funktionierende Absprachen. Aber auch das man sich wirklich gegenseitig unterstütz und wertschätzt, und solche Dinge wie der Dienstplan besser mit dem Privatleben vereinbar sein sollen.
Ich glaube es geht hier auch darum, dafür zu sorgen, dass diese Crew von 25 Personen wirklich grundlegende Veränderungen mitgestalten kann, aber auch alte Berufsbilder aufzubrechen und neue Rollen zu übernehmen. Diesen ganzen Prozess kann man übrigens auf www.meine-station.de verfolgen. Anfang nächsten Jahres soll diese Station in Betrieb genommen werden. Definitiv eine sehr spannende Sache.

Wer jetzt gerade keine selbstorganisierte Station aus dem Boden stampfen kann, der sei beruhigt. Das ist natürlich ein sehr großes und riskantes Projekt und es geht auch einige Nummern kleiner.
Ein Beispiel kann da nämlich die Patientenreise sein. Und zwar kam da eine Geschäftsführerin zu mir und hat gesagt, dass sie das Gefühl hat, dass die Leute in ihrem Verwaltungsapparat gar nicht mehr sehen, worum es ihnen wirklich geht. Sie wollte das sie und ihr Team zusammen den Kompass ausrichten – und zwar auf den Patienten und die Patientin, also dass, was sie als gemeinsame Perspektive haben.
Wir haben dann die Vertreter der Pflege und Medizin, und die Abteilungsleitenden und Repräsentanten aus den verschiedenen Abteilungen eingeladen. Und dann haben wir versucht, die Patientenreise durch die Klinik, also prä- und post-stationär, auf einem Zeitstrahl darzustellen. Da wurden die Leuten dann gebeten ihren Beitrag beziehungsweise ihren „Touch-Point“ mit dem Patienten mit einem Post-It auf diesen Zeitstrahl hinzukleben – und schon in diesem Prozess des hin Klebens von den einzelnen Schritten, begannen die Leute miteinander zu sprechen. Zum Beispiel hat da die Marketingfrau zur Pflegedirektorin gesagt „Ach so, dass machen Sie auch – ist ja interessant.“ Und schlussendlich kam dann raus, dass sich gewisse Sachen doppeln, oder dass die Personalabteilung eigentlich auf der ganzen Reise irgendwie involviert ist. Es war wirklich sehr spannend zu sehen, wie sich die Vertreter der Berufsgruppen geordnet haben und wie diese gemeinsame Perspektive und ein gegenseitiges sichtbar-werden dabei zustande kam. Es wurde einem dann einfach immer wieder klar „alles was ich hier tue, wirkt sich am Ende indirekt oder direkt auf den Patienten aus“. Dabei ging es eben auch ganz stark darum, ein gemeinsam getragenes und selbst gestaltetes Konstrukt zu schaffen, auf dem dann weitergearbeitet werden kann und konnte.
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Warum kommt so wenig von diesen New Work Bemühungen im Gesundheitswesen an?
Im Gesundheitswesen arbeiten wir innerhalb eines hochkomplexen Umfelds, das jeden Tag unsicherer wird, jeden Tag neue Hiobsbotschaften erhält und eine Krise die Nächste jagt. Es ist sehr unsicher, komplex und volatile. Ich glaube, wir sind uns alle einig – und die Rufe danach werden ja auch immer lauter – das System muss sich grundlegend neu definieren. Das bezieht sich auf Themen wie Finanzierung, gesetzliche Rahmenbedingungen aber auch Maßnahmen um diesem eklatanten Personalmangel entgegenzuwirken. Das alles heißt, dass wir im Moment in einem starken Kampf ums „Außen“ sind, und umso wichtiger ist es aber, auch nach innen zu schauen. Und damit meine ich jetzt nicht eine neue Webseite, ein paar Instagram Beiträge oder eine schicke Personalkampagne mit tätowierten Pflegekräften. Dann kann es auch leicht passieren, dass bei den eigenen Leuten ein gewisser Zynismus aufkommt und sie sich denken „Für solche großen Kampagnen ist Geld da – was ist denn mit denen, die hier jeden Tag die Arbeit machen?“. Da muss man also immer ein wenig aufpassen. Mit dem „nach innen schauen“ meine ich vor allem, den eigenen Einflussbereich anzuschauen: das eigene Team, die eigene Abteilung, die Organisation in der wir arbeiten und für die wir in diesen komplexen und anstrengenden Zeiten neue Ansätze brauchen.